HB Magazin 1 2023
POLITIK
POLITIK
Die Delegation und Substitution heilkundlicher Tätigkeiten in der vertragsärztlichen Versorgung durch beispielsweise professi onelle Pflegekräfte steht schon seit langem in die Diskussion. Doch der nun sichtbar werdende demografische Wandel, der spürba re Fachkräftemangel und das vorherrschende Krankheitsspektrum der chronischen und Mehrfach-Erkrankungen erhöhen den Druck auf die Verantwortlichen zu Lösungen zu gelangen. Doch gerade bei diesem Thema stehen sich unterschiedliche Ansätze nach wie vor streitig gegenüber. Neue Berufsbilder in der Pflege Diskussion um Delegation und Substitution nimmt an Fahrt auf
nig, Präsidentin des Verbandes medizinischer Fachberufe, beim Zi-Forum. Dr. Doris Reinhardt, stellvertretende Vorstandsvorsit zende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, ergänzte, dass „selbstverständlich“ eine Medizinische Fachange stellte oder Angehörige anderer Gesundheitsfachberufe für be stimmte Aufgaben qualifiziert werden könnte. Delegation gelinge umso besser, je klarer die Kompetenzen in der Ausbildung entwi ckelt würden und je standardisierter bestimmte Abläufe in der Pra xis seien. „Nur ist die Komplexität in der hausärztlichen Versorgung eine besondere“, so Reinhardt. „Alles was außerhalb des Nukleus Praxis stattfindet, braucht ein hohes Maß an Mehrkommunikation, was letztendlich auch immer Synergieverluste bedeutet.“ Mit der VERAH sei es aber gelungen, ein „sehr erfolgreiches“ Delegations modell zu etablieren, um dem durch steigende Morbidität und zu nehmende Komplexität bedingten Strukturwandel in den Praxen „wirksam“ zu begegnen. VERAH sind MFA, die den Arzt innerhalb der hausärztlichen Versorgung unterstützen, unter anderem durch die Übernahme besonderer koordinierender Aufgaben im Rahmen eines Case Managements. Sie können Hausbesuche übernehmen, bei denen keine ärztliche Kompetenz notwendig ist und Patienten und Ange hörigen bei der Anwendung präventiver und rehabilitativer Maß nahmen unterstützen. Dabei soll die VERAH eine arztentlastende Funktion einnehmen, „die auf ihrer besonderen Kenntnis der Pati enten in der jeweiligen Praxis basiert“. Fortbildungscurriculum für Medizinische Fachangestellte Praxen können zudem nichtärztliche Praxisassistentinnen und -assistenten (NäPA) beschäftigen, die sie bei der Betreuung ihrer Patienten und Patientinnen unterstützen, deren Berufsbild ist ana log zur VERAH. Sie führen ebenfalls Hausbesuche sowie Besuche in Alten- und Pflegeheimen durch. Dabei überwacht das ärztliche Personal die Tätigkeit der NäPA und ist jederzeit für die NäPA er reichbar. Die Bundesärztekammer hat ein entsprechendes Fortbil dungscurriculum für Medizinische Fachangestellte und Angehöri ge anderer Gesundheitsberufe entwickelt. Die BÄK sprach sich im Jahr 2017 im Rahmen des 120. Deutschen Ärztetages für ein bundeseinheitlich geregeltes, neu einzuführen des Berufsbild Physician Assistant (PA) aus. PA sollen delegierbare ärztliche Tätigkeiten selbstständig auf Anordnung ausüben und eine Schnittstellenfunktion zwischen Ärzten, Pflegepersonal und Patienten übernehmen. Die PA sollen zum Beispiel für allgemeine und spezifische Tätigkeiten in verschiedenen Bereichen, wie z. B. in der Chirurgie, der Inneren Medizin, der zentralen interdiszipli nären Notaufnahme, der Anästhesie und der Intensivmedizin, der Funktionsdiagnostik, im allgemeinmedizinischen Bereich sowie weiteren Bereichen eingesetzt werden. Von Stillfried zufolge müsse noch geklärt werden, wie der De legationsrahmen der PA im Vergleich zu dem der NäPA sinnvoll und rechtssicher erweitert werden könne. „Ferner muss abgewo gen werden, ob bzw. inwieweit sich das Aufgabenspektrum der PA von dem der Pflegekräfte unterscheidet, denen gemäß § 64d SGB V in Modellvorhaben ärztliche Tätigkeiten übertragen werden und diese in einem definierten Rahmen selbständig ausüben. Auch hier gibt der Rahmenvertrag gemäß § 64d Absatz 1 SGB V den Arztpraxen die Möglichkeit, eine Pflegefachperson mit einer Zusatzqualifikation nach § 14 Pflegeberufegesetz im Rahmen der Modellversuche an zustellen und diese somit in die Praxisarbeit zu integrieren.“ Auch wie das Aufgabenspektrum und die Finanzierung der Community Health Nurse implementiert werden solle, sei „noch völlig offen“.
lichen Versorgung insbesondere in ländlichen, aber auch städti schen Regionen angeführt. „In Deutschland gibt es seit einiger Zeit Bemühungen, die Primärversorgung zu stärken, den zunehmenden Mangel an Hausärzten in ländlichen Regionen und unterversorg ten Gebieten wie benachteiligten Stadtteilen aufzufangen sowie die sektorale Trennung zwischen ambulanter und stationärer Ver sorgung zu überwinden.“ Community Health Nurses könnten laut DBfK in diesem Zusammenhang wesentliche Beiträge zu einer zukunftsfähigen Gesundheitsversorgung leisten. Sie sollen als „hochschulisch qualifizierte Pflegefachpersonen“ in der primä ren Gesundheitsversorgung mitwirken. „Sie steuern, koordinie ren, beraten, überwachen, leiten.“ Sie sollen zum Beispiel erste Ansprechpartner:innen für Menschen mit chronischen oder Mehr facherkrankungen, Behinderung oder Pflegebedarf sein. International bewährt sei laut DBfK der Einsatz von Commu nity Health Nurses in Gesundheitszentren: Ein multiprofessionell zusammengesetztes Team soll aufeinander bezogene, integrierte Versorgungsangebote bieten. „Alle arbeiten unter einem Dach: Ärzt:innen, Therapeut:innen, Sozialarbeiter:innen, Pflegefachper sonen.“ Um das volle Potenzial der CHN auszuschöpfen, brauche es eine Ausweitung des Kompetenzbereiches und Möglichkeiten des eigenverantwortlichen Handelns. Auch der Deutsche Pfleger at forderte in einem Positionspapier, dass CHN selbstständig heil kundliche Tätigkeiten übernehmen können sollten. „Deutschland braucht neue Antworten und flexible Versorgungsmodelle, um den Herausforderungen zu begegnen.“ Das beinhalte „eine Neu ordnung der Kompetenzzuschnitte der beteiligten Gesundheitsbe rufe“. Die Bundesregierung spricht in ihren Koalitionsvertrag zudem davon, im ländlichen Raum auch Gemeindeschwestern und Ge sundheitslotsen einsetzen zu wollen. Diese kommen bereits in unterschiedlichen Modellvorhaben zum Einsatz. Zu Gemeinde schwestern ist unter anderem das Modellprojekt „AGnES“ (Arzt entlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention) bekannt. Demnach kann zu den Aufgaben der Ge meindeschwester unter anderem zählen, Ärzte von zeitaufwendi gen Hausbesuchen zu entlasten. Dort soll sie unter Delegation des Arztes die Routineversorgung – wie Blutdruckmessungen, Sturz prophylaxe und Medikamentenkontrolle – der Patienten überneh men können. Gesundheitslotsen übernehmen im Gegenzug keine Versorgungstätigkeiten, sofern sie nicht über eine pflegerische Ausbildung verfügen. „Teampraxis“ als „Modell der Zukunft“ Dr. Dominik von Stillfried, Vorstandsvorsitzender der Zentralins tituts für Kassenärztliche Versorgung (Zi) erklärt durch den Einsatz einer sogenannten Community Health Nurse sei „kein relevanter Benefit zur Problemlösung zu erwarten“, wie er in einem Zi-Forum vom 9. November 2022 betonte. Lediglich dann, wenn diese in den öffentlichen Gesundheitsdienst oder in Praxisteams eingebunden würde. „Deren Kompetenzen können im Rahmen eines weiten Delegationsprinzips für sekundärpräventive Beratungen oder an spruchsvolle koordinative Aufgaben in der Behandlung durchaus hilfreich sein.“ Seiner Vorstellung nach ist die „Teampraxis“ das „Modell der Zukunft“, in der sich unterschiedliche Gesundheitsbe rufe entsprechend ihrer Kompetenzen und Erfahrung ergänzten. „Dies gelingt allerdings nur dann effizient, wenn neue Berufsbilder an die Praxen angebunden werden.“ Man benötige keine neuen Schnittstellen, sondern mehr Schnitt mengen in der Gesundheitsversorgung, betonte Hannelore Kö
gung (Zi) im Jahr 2021 insgesamt 12.058 NäPAs in 9.623 Praxen. Von den Praxismitarbeiterinnen, die die Zusatzbezeichnung VERAH haben, gab es mit Stand November 2022 bundesweit insgesamt 15.193. Bei der Substitution werden hingegen bestimmte Leistungen der Heilkunde eigenverantwortlich von Nicht-Ärzten erbracht. Seit dem Beschluss des Gesundheitsversorgungs-Weiterentwicklungs gesetz (GVWG) am 11. Juni 2021 ist die „Durchführung von Modell vorhaben zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten“ an Pflegekräfte verpflichtend. Demnach sollen Krankenkassen zusammen mit jedem Bundesland spätestens ab 1. Januar 2023 mindestens ein Modellvorhaben „zur Übertragung ärztlicher Tätigkeiten in die Tat umsetzen, bei denen es sich um selbstständige Ausübung von Heil kunde handelt“. International bewährt: Community Health Nurses Als Argument für die Übertragung von heilkundlichen Aufgaben auf die Profession Pflege wird unter anderem vom Deutschen Be rufsverband für Pflegeberufe (DBfK) eine Lücke bei der hausärzt
Die Bundesregierung will laut Koalitionsvertrag die Professio nelle Pflege durch heilkundliche Tätigkeiten ergänzen und neue Be rufsbilder wie unter anderem die Community Health Nurse (CHN) schaffen. Im ländlichen Raum sollen außerdem Angebote durch Gemeindeschwestern und Gesundheitslotsen ausgebaut werden. Von Seiten der Ärzteschaft wird die Substitution ärztlicher Leistun gen eher skeptisch gesehen. Stattdessen wird der Vorschlag ärztlich geleiteter Teams angeführt, in denen Ärzte mit Gesundheitsberufen zusammenarbeiten und ihnen Aufgaben im Rahmen einer Delegati on für eine bestimmte Zeit übertragen. Die Delegation ist im Gegensatz zur Substitution ärztlicher Leis tungen in Deutschland schon länger gang und gäbe. Dabei werden ärztliche Aufgaben von Medizinern auf Nicht-Mediziner übertragen. Aber der Arzt bleibt Leistungserbringer im Sinne des Behandlungs vertrages. Sie ist unter anderem in der Berufsordnung und dem Heilberufegesetz geregelt. Etabliert sind dabei die nichtärztliche Praxisassistentin (NäPA) sowie die Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis (VERAH). Insgesamt gab es in Deutschland nach einer Erhebung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versor
Foto: khuncho24/shutterstock.com
32
33
Made with FlippingBook Ebook Creator