HB Magazin 2 2025
POLITIK
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Ringen um die optimalen Regelungen Ärztliche Patientensteuerung in der ambulanten Versorgung
Koalitionsvertrag. Zudem werde die flächendeckende Möglichkeit einer strukturierten Ersteinschätzung über digitale Wege in Verbin dung mit Telemedizin geschaffen. Schnelle Umsetzung angekündigt In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) kündigte die Bundesgesundheitsministerin die schnelle Um setzung an. „Durch das Hausarztmodell bekommen wir mehr Steu erung und mehr Ordnung in das Gesundheitssystem und können zielgerichteter behandeln“, äußerte sie u.a. gegenüber dem RND. Der diesjährige 129. Deutsche Ärztetag fasste dazu einen Beschluss: Das Primärarztsystem sollte an eine sozial verträgliche Selbstbe teiligung gekoppelt werden, um gezielt Anreize für kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten zu setzen. Gleichzeitig müsse ge währleistet sein, dass Menschen mit geringem Einkommen durch diese Regelung nicht von notwendigen Arztbesuchen abgehalten werden. Zur Begründung hieß es: Das deutsche Gesundheitswesen komme – im Krankenhausbereich, in der Notfallversorgung und im ambulanten Bereich – durch steigende Kosten, Fachkräftemangel und hohen Investitionsbedarf bei gleichzeitig niedrigschwelliger Inanspruchnahme mit gestiegener Anspruchshaltung zunehmend an seine Grenzen. Anders als jahrelang praktiziert, sei es nicht mehr möglich, diese Defizite durch immer mehr Geld zu beheben. Daher müssten Patientinnen und Patienten stärker in die Pflicht genom men werden. „Das Gesundheitssystem benötigt eine koordinierte Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen von Patientinnen und Patienten, um der Diskrepanz zwischen begrenzter Verfügbar keit von Leistungen und Ressourcen und vorhandenem Behand lungsbedarf zu begegnen“, heißt es in einer von den Delegierten der Hauptversammlung des Hartmannbundes verabschiedeten Erklä rung vom November 2024. Keine unnötige Mehrbelastung Nach einem Konzeptpapier „Koordination und Orientierung in der Versorgung“ der Bundesärztekammer soll die primärärztliche Versorgung zum Normalfall werden. Der Hausarzt sollte erste An laufstelle sein und nur im Bedarfsfall an Fachpraxen weiterleiten. Um Verbindlichkeit zu erreichen, sollte die Einschreibung in eine primärärztliche Praxis in der Regel für mindestens zwölf Monate er folgen. Es solle nicht zu einer unnötigen Mehrbelastung ärztlicher Einrichtungen führen. „Eine Überweisung der Patientin bzw. des Pa tienten durch Hausärztinnen und Hausärzte soll kein Gatekee-ping sein, sondern dann erfolgen, wenn ein interdisziplinärer Ansatz erforderlich oder absehbar ist“, heißt es. Finanzielle Steuerungs instrumente sollten erst dann erwogen werden, wenn sich das System etabliert habe und unter anderem ein verlässlicher und schneller Zugang in die jeweiligen Versorgungsstrukturen gegeben sei. Die Terminportale und die telefonische Vermittlung der Kassen ärztlichen Vereinigung über 116117 könnten zudem noch optimiert werden, erläuterte Reinhardt Ende März in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). Denn jeder Patient habe An spruch darauf und brauche die Sicherheit, dass er gesehen werde. „Aber wer auf eine Behandlung jenseits der ihm angebotenen Wege
bestehe, müsste sich dann auch selbst an den zusätzlichen Kosten beteiligen“, verdeutlichte er. Es könne aber nicht Aufgabe von Ärztin nen und Ärzten sein, Strafgebühren für die Krankenkassen einzuzie hen. Für ihn sind hier viele Optionen denkbar: „von einer Selbstbe teiligung, die von den Versicherten mit den Kassen abzurechnen ist, über gestaffelte Kassentarife“, erklärte Reinhardt. Entscheidend sei, dass die Zuzahlung unbürokratisch und nachvollziehbar geregelt wird. „Dass sich jeder auf Kosten der Allgemeinheit aussucht, was ihm am besten passt, das ist weltweit einzigartig, aber nicht fair und definitiv nicht mehr länger leistbar und bezahlbar“, unterstrich er. Vorhaltefinanzierung erforderlich Das Konzept der KBV sieht vor, dass die Steuerung der Patienten durch Hausärzte (Allgemeinmediziner und Internisten), Kinder- und Jugendärzte sowie Frauenärzte erfolgt – mit Ausnahmen für Pati enten, die zum Beispiel unter schweren chronischen Erkrankungen leiden. Zudem sollen Fachärzte für Augenheilkunde, ärztliche und psychologische Psychotherapeuten sowie Kinder- und Jugendli chenpsychotherapeuten weiterhin ohne Überweisung aufgesucht werden können. Patientinnen und Patienten, die keinen steuern den Vertragsarzt gewählt hätten, würden sich für einen Zugang zur fachärztlichen Versorgung an die 116117 wenden. Um den GKV Versicherten ausreichend Termine über die Plattform anbieten zu können, sei es erforderlich, dass die Arztpraxen eine gewisse Anzahl an Terminen stellten. Das bedürfe aber einer entsprechenden Vor haltefinanzierung, „damit die damit einhergehende unsichere Inan spruchnahme zu keinen finanziellen Einbußen für die Praxen führt“. Patienten, die ohne die beschriebene Steuerung einen Facharzt auf suchen, sollen zudem eine Eigenbeteiligung leisten. Position der Krankenkassen Die Krankenkassen haben sich ebenfalls grundsätzlich für ein verbindliches Primärarztsystem ausgesprochen. So sieht die AOK Gemeinschaft in der Etablierung der Primärversorgung ein Trans formationsprojekt, das in der kollektiven Regelversorgung umge setzt werden sollte. Die Einführung der Primärversorgung müsse für Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundes verbandes, für mehr Patientenorientierung und einen besseren Zugang sorgen. Der Verband der Ersatzkassen (vdek) warb für sein Konzept „Persönliches Ärzteteam“, das auf ein von den Versicher ten frei zu wählendes Team aus einem Haus- und bis zu drei grund versorgenden Fachärztinnen und Fachärzten setzt. Hinzu komme die Möglichkeit, eine telemedizinische Ersteinschätzung über die Rufnummer 116117 der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) einzuholen. Im Unterschied zu vielen Vorschlägen, die auf eine rein hausarztzentrierte Versorgung ausgerichtet seien, in dem nur ein Hausarzt/eine Hausärztin die Versorgung steuere, vermeide diese Ausgestaltung eines Primärarztsystems das Risiko neuer Engpässe und unnötige Zugangshürden, argumentierte der vdek. Beispiels weise sollten Menschen mit einer chronischen Erkrankung weiter hin direkt ihre Fachärzte in Anspruch nehmen dürfen. „Das Modell der Ersatzkassen berücksichtigt stärker die tatsächliche Versor gungsrealität und wirkt zugleich steuernd”, vdek-Vorstandsvorsit zende Ulrike Elsner.
Als eines der ersten Vorhaben in ihrer Amtszeit möchte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken MdB (CDU) das im Koalitions vertrag vereinbarte verbindliche Primärarztsystem angehen. Ziel ist eine möglichst zielgerichtete Versorgung sowie eine schnelle re Terminvergabe. Demnach sollen sich Patientinnen und Patienten zunächst bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt.
Patientinnen und Patienten sollen stärker in die Pflicht genommen werden.
Für Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt ist hier bei die konkrete Umsetzung „entscheidend“, wie er in seiner Rede vor dem 129. Deutschen Ärztetag Ende Mai betonte. Das System müsse gemeinsam mit der Ärzteschaft intelligent, praktikabel und an den Versorgungsrealitäten orientiert ausgestaltet werden. Der Deutsche Ärztetag in 2024 – wie auch der Hartmannbund – hatten sich bereits für ein Primärarztsystem ausgesprochen, um künftig die Patientenwege im Versorgungssystem effektiver zu koordinie ren. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat vor dem Hintergrund der Koalitionspläne Positionen und Vorschläge zur Verbesserung der Patientensteuerung vorgelegt. Auch die Kassen befürworten die Etablierung eines solchen Systems. Unter ande rem hält der Verband der Ersatzkassen (vdek) sein Konzept „Per sönliches Ärzteteam“ für eine sinnvolle Ausgestaltung der Koaliti onspläne.
Nach den Vorstellungen des Koalitionsvertrags soll das verbind liche Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinder ärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivver trag erfolgen. Ausnahmen sollen bei der Augenheilkunde und der Gynäkologie gelten. Für Patientinnen und Patienten mit einer spe zifischen schweren chronischen Erkrankung würden zudem geeig nete Lösungen erarbeitet (zum Beispiel Jahresüberweisungen oder Fachinternist als steuernder Primärarzt im Einzelfall). Die Primär ärztinnen und -ärzte oder die von den Kassenärztlichen Vereinigun gen (KV) betriebene Rufnummer 116 117 sollen den medizinisch notwendigen Bedarf für einen Facharzttermin feststellen und den dafür notwendigen Zeitkorridor (Termingarantie) festlegen. Die KV soll hierfür verpflichtet werden, diese Termine zu vermitteln. „Ge lingt dies nicht, wird der Facharztzugang im Krankenhaus ambu lant für diese Patientinnen und Patienten ermöglicht“, heißt es im
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