HB Magazin 4 2022

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Den Fuß nur vom Gaspedal zu nehmen, wird nicht mehr reichen

„Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle und haben den Fuß auf dem Gaspedal“ sagte UN-Generalsekretär António Guterres Anfang November zum Start der Weltklimakonferenz. Die drastischen Worte zeigen, die Zeit drängt. Dabei ist das Problem seit langem bekannt. Schon in den 1970-er Jahren forderte der Club of Rome einen nachhaltigen Umgang mit der Erde. Passiert ist danach wenig. Und heute? Die Folgen des Klimawandels werden immer sichtbarer. Mit zunehmender Luftverschmutzung steigen nicht nur die Temperaturen und Extremwetterereignisse, sondern auch die gesundheitlichen Risiken weltweit: Menschen leiden unter Hitzewellen, chronische Lungenerkrankungen nehmen zu, Allergien treten häufiger auf, Infektionskrankheiten stellen eine ernstzunehmende Gefahr dar. Das Gesundheitswesen nimmt in dieser Situation eine Doppelrolle ein – es muss die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels bei den Patienten behandeln oder sie präventiv darauf vorbereiten und gleichzeitig zählt es als eine der großen Quellen für Treibhausgase. Den Fuß nur vom Gaspedal zu nehmen, wird nicht mehr reichen, eine Vollbremsung wird nicht möglich sein. Wie kann der Wandel gelingen?

Etwa fünf Prozent der gesamten Emissionen in Deutschland stößt der Gesundheitssektor aus. Vor allem die knapp 2 000 Kran kenhäuser mit ihrem Rund-um-die-Uhr-Betrieb verursachen den Großteil dieser Emissionen. Der jährliche Energiebedarf pro Kran kenhausbett entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von zwei Haushalten in Deutschland, wie das Statistische Bundesamt angibt. In Krankenhäusern fallen 4,8 Millionen Tonnen Abfall pro Jahr an und fünf Prozent des gesamten Rohstoffverbrauchs in Deutschland gehen auf das Gesundheitswesen zurück. Vor diesem Zusammen hang steht außer Frage, dass der Gesundheitssektor Änderungen in den Strukturen und Einrichtungen anstoßen muss, um nachhalti ger und klimaneutral zu werden. Aber: „In Deutschland wird Klima wandel und Gesundheit erst seit 2019 richtig ernst genommen und es gibt nach wie vor Verantwortliche in der Politik, Wissenschaft und auch im Gesundheitssektor, die diesen Zusammenhang nicht verstehen“, sagte Dr. med. Martin Herrmann, Vorstandsvorsitzen der des Deutschen Allianz für Klima und Gesundheit e.V. (KLUG), auf der Bundespressekonferenz anlässlich der Veröffentlichung des Lancet Countdown 2022. Dabei ist das Bewusstsein dafür, dass heute gehandelt werden muss, um künftigen Generationen nicht die Lebensgrundlage zu nehmen, spätestens mit der Fridays for Future-Bewegung geweckt worden. Immer mehr Akteure des Gesundheitswesens vernetzen sich, um den Weg zu klimaneutralen Gesundheitseinrichtungen zu ebnen, aufzuklären und Denkanstöße zu geben. Fachgesellschaf ten, Ärztekammern und andere Organisationen haben sich mitt lerweile zum Klimawandel positioniert. Und beim 125. Deutschen Ärztetag mit dem Schwerpunktthema „Klimaschutz ist Umwelt schutz“ im vergangenen November wurde unter anderem das Ziel ausgesprochen, bis 2030 einen klimaneutralen Gesundheitssektor zu schaffen. Dringlichkeit politisch noch nicht allgemein akzeptiert Das ist nicht einfach. „Die Dringlichkeit und die Verantwortung für Klimaschutzmaßnahmen in Gesundheitseinrichtungen sind von den Selbstverwaltungsstrukturen, der Legislative und Exeku tive auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene noch nicht all gemein akzeptiert“, heißt es im Policy Brief für Deutschland 2021 zum Lancet Countdown for Health and Climate Change-Report. Ein weiterer Punkt, der bislang umfassende Klimaschutzmaß nahmen im Gesundheitswesen behinderte: Es fehlt an der Finan zierung. Die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen gab zwei Gutachten in Auftrag, um vor der Landtagswahl im Mai auf die Problematik und den notwendigen Handlungsbedarf hinzu weisen. Anfang des Jahres wurden diese veröffentlicht. Das Wup

pertal Institut für Klima, Umwelt, Energie erarbeitete das Zielbild: „Klimaneutrales Krankenhaus“ und führte darin zehn Punkte auf, die wichtig sind, damit die Krankenhäuser in Nordrhein Westfalen bis 2045 klimaneutral werden können. Die Institute for Health Care Business GmbH (hcb) berechnete im Gutachten „Das klimaneutrale Krankenhaus – Finanzierungsmöglichkeiten von Umsetzungsmaßnahmen“ für dieses Zielbild den Investitionsbe darf: Für die 315 Plankrankenhäuser Nordrhein-Westfalens liegt dieser bei 7,1 Milliarden Euro, was etwa 23 Millionen Euro pro Haus entspricht. Hochgerechnet auf alle Plankrankenhäuser in Deutschland beträgt der Investitionsbedarf laut hcb-Gutachten 34 Milliarden Euro. Vor dem Hintergrund, dass in der Vergangenheit durch die Bun desländer schon nicht die notwendigen Investitionsmittel für den Erhalt der Substanz der Krankenhäuser bereitgestellt wurden, sind zusätzliche Investitionen für den Klimaschutz kaum vorstellbar. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft bezifferte den rechnerischen Investitionsbedarf deutscher Krankenhäuser im Jahr 2020 auf mehr als sechs Milliarden Euro. Die Bundesländer hatten jedoch nur etwa drei Milliarden davon getragen. Zudem sind Sondertöp fe wie Krankenhausstrukturfonds oder Innovationsfonds nicht für klimaneutrale Krankenhausgestaltung vorgesehen und staatliche Förderprogramme sind stark durch EU-Vorgaben begrenzt, so dass viele Klimaschutzmaßnahmen darüber nicht finanziert werden können. Deshalb wurde im hcb-Gutachten vorgeschlagen, einen Krankenhaus-Klimafonds einzurichten. Bund und Länder würden in diesen einzahlen, damit in Krankenhäusern Klimaschutzmaß nahmen durchgeführt werden können. Diese Einschätzung wird auch in der Studie „Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern“ ge teilt, die vom Deutschen Krankenhausinstitut durchgeführt und im Juli dieses Jahres veröffentlicht wurde: Klimaschutzmaßnahmen in Krankenhäusern sind häufig mit kostenintensiven baulichen Maßnahmen verbunden. Das mache ein Investitionsniveau immitt leren zweistelligen Milliardenbereich erforderlich, das am besten über einen Fonds bereitgestellt wird. Nicht zur Tatenlosigkeit verdammt Zur Tatenlosigkeit ist man in Gesundheitseinrichtungen trotz fehlender Mittel nicht verdammt. Das hat das Projekt „KLIK green – Krankenhaus trifft Klimaschutz“ eindrücklich zeigen kön nen. Zentraler Punkt war es, Nachhaltigkeit auch ohne hohen fi nanziellen Aufwand in Einrichtungen anzustoßen. Im April dieses Jahres wurde es nach drei Jahren Laufzeit abgeschlossen. Rund 200 Krankenhäuser und 50 Reha-Kliniken nahmen daran teil und konnten durch unterschiedliche Klimaschutzmaßnahmen zur

Wie der Wandel gelingen kann – Und warum er nicht scheitern darf

Foto: Axstokes/shutterstock.com

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