HB Magazin 1 2025

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Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung Besser erkennen, besser behandeln, besser vorbeugen – so könnte der Dreiklang lauten, der bei den Deutschen Zentren der Ge sundheitsforschung (DZG) ganz zentral ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat Strukturen aufgebaut, um Volks krankheiten wie Diabetes, Infektionskrankheiten, Krebs, Herz-Kreislauf-, Lungen-, neurodegenerative oder psychische Erkrankungen zu erforschen. Seit 2009 wurden acht Zentren gegründet, das neueste erst im vergangenen Jahr: für Neurodegenerative Erkrankun gen (DZNE), Diabetesforschung (DZD), Infektionskrankheiten (DZIF), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DZHK), Lungenkrankheiten (DZL), Krebs (DKTK), Psychische Gesundheit (DZPG) und Kinder- und Jugendgesundheit (DZKJ). In ganz Deutschland beteiligen sich 104 Forschungseinrichtungen an den DZG, dazu zählen Hochschulen, Universitätsklinika und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Zusammen arbeiten Grundlagenforscher:innen und Kliniker:innen daran, wissenschaft liche Erkenntnisse schneller in die medizinische Praxis zu überführen. Damit die Translation vom Labor in die Klinik besser gelingen kann, ist die Zusammenarbeit über fachliche und institutionelle Grenzen hinweg unerlässlich. Die DZG kooperieren nicht nur eng untereinander, sondern auch mit privatwirtschaftlichen Unternehmen, um innovative diagnostische Verfahren und therapeutische Ansätze in eine wirtschaftliche und bezahlbare Gesundheitsversorgung zu überführen. Die DZG werden zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent von den Bundesländern gefördert, in denen die Mitgliedseinrichtungen ihren Sitz haben.

Prof. Dr. André Scherag, Direktor des Instituts für Medizinische Statistik, Informatik und Datenwis senschaften am Universitätsklinikum Jena. Au ßerdem ist er Vorstandsmitglied der Technolo gie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V. (TMF), die vor 25 Jahren gegründet wurde, um standortüber greifende Infrastrukturen für die biomedizini sche Forschung zu begleiten und zu unterstüt zen. Der Verein ist die Dachorganisation der medizinischen Verbundforschung in Deutsch land. Um translationale Forschung in der Univer sitätsmedizin zu fördern, wird im Wissenschaftssek tor dafür plädiert, das Mindset für Translation in den Fokus zu rücken: Ausbildungsstrukturen sollten ausge baut und weiterentwickelt werden, damit Studierende schon früh mit der Thematik in Berührung kommen. F o t o : P r i v a t

ist ein kritischer Punkt – viele Innovationen landen in Deutschland im „Death Valley of Translation“. Das heißt, deren Reise endet schon, bevor sie überhaupt am Menschen erprobt oder in der Regelversorgung eingesetzt werden können. Translationszentren könnten dabei helfen, akademische Erfindungen oder Entwicklun gen durch professionelle Beratung zu einer höheren Reife zu führen, was wiederum die Möglichkeit für den Transfer in ein kommerzi elles Unternehmen erhöht. „Angesichts des insgesamt extrem langen Forschungsprozesses ist es wichtig, nicht nur auf die kurzfristigen Erfolge zu setzen, sondern die Inno vationstreiber unseres Landes zu stärken“, sagt Natalie Liebel, die als Koordinatorin des Deutschen Zentrums

Wissen aus dem Labor ans Krankenbett zu bringen. Gleichzeitig können sie umgekehrt im klinischen Versorgungsalltag neue An satzpunkte und Fragestellungen für die medizinische Forschung identifizieren. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen verbessern Clinician Scientists aktiv Diagnostik und Therapie. Damit sind sie elementar für den medizinischen Fortschritt. Allerdings führen in den Kliniken zunehmende ökonomische Zwänge und immer kom plexer werdende Medizin dazu, dass neben den Verpflichtungen in der Patient:innenversorgung kaum noch Zeit für die wissenschaft liche Tätigkeit bleibt. Die braucht es aber, um relevante Forschung zu betreiben. Ohne strukturelle Möglichkeit, beide Tätigkeitsfelder parallel ausüben zu können, bedeutet das für betroffene Ärzt:innen hingegen häufig, die medizinische Forschung in ihrer Freizeit durch führen zu müssen – oder sich ganz auf die klinische Versorgung zu konzentrieren. Förderprogramme sollen das verhindern. Sie schaffen den not wendigen Raum für die Forschung, gewähren eine vertraglich ge sicherte und geschützte Forschungszeit. In den vergangenen Jah ren sind an den medizinischen Fakultäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen fast flächendeckend Clinician Scientist Programme entstanden. Weitere Förderer wie die Deutsche For schungsgemeinschaft oder private Stiftungen wie die Else Kröner Fresenius-Stiftung ergänzen das Angebot. In den vergangenen Jahren sind die Zahlen nach Angaben der Deutschen Hochschulme dizin stetig gestiegen – das gilt sowohl für Clinician-Scientist-Pro gramme als auch geförderte Clinician-Scientist-Fellows. 2023 gab es demnach an 38 Universitätsstandorten 128 Clinician-Scientist Programme. 400 Fellows wurden 2023 neu gefördert, so dass die Ge samtzahl der geförderten forschenden Ärzt:innen bei etwa 1000 lag. Auch, wenn das eine positive Entwicklung ist: Die verschiede nen Akteur:innen im Wissenschaftsbetrieb sind sich einig, dass ein weiterer Ausbau dieser Programme erfolgen und deren langfristige Finanzierung gesichert werden muss. Dennoch herrscht auch Ver besserungspotenzial. Der Medizinische Fakultätentag stellte vor gut einem Jahr die fünfte Umfrage zum Thema Clinician Scientist vor, in der die Daten für das Jahr 2022 erhoben wurden. Dabei wurde ein Kernproblem deutlich: An nur zehn der 35 teilnehmenden Standor te gab es eine Vereinbarung zur Anerkennung von Forschungszeiten mit der zuständigen Landesärztekammer. Bei zwei Standorten wur den programmspezifische und bei drei fachspezifischen Vereinba rungen getroffen. Die Forschungszeit wird also noch nicht regelhaft als Ausbildungszeit anerkannt. Deshalb fordert die Deutsche Hoch schulmedizin: „Die Forschung als integraler Bestandteil der ärztli chen Tätigkeit soll in den Musterweiterbildungsordnungen explizit

verankert werden und eine Grundlage für die regelhafte Anrechen barkeit der Forschungszeit an die ärztliche Weiterbildungszeit durch die Landesärztekammern in größerem Umfang geschaffen werden.“ Denn nur, wenn Forschung in die Karriereplanung von Ärzt:innen passt, werden sie diese auch aktiv verfolgen – und so die innovative und patientengerechte Forschung voranbringen. Forderung an die neue Bundesregierung Mit der Bundestagswahl haben sich viele Institutionen der Wis senschaft damit auseinandergesetzt, was die neue Regierung beachten müsste, um den Wissenschafts- und Innovationsstand ort Deutschland zu stärken. Die Max-Planck-Gesellschaft, Alianz der Wissenschaftsorganisationen, Deutsche Hochschulmedi zin, Deutsche Forschungsgemeinschaft und Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung haben ihre Positionen und Impulse veröffentlicht. Eine kleine Auflistung (die Reihenfolge spiegelt keine Wertigkeit wider): 1. Es muss nachhaltig in Forschung und Forschungsinfrastruktur investiert werden. Das gilt sowohl für digitale, apparative als auch bauliche Infrastrukturen. 2. Bürokratie abbauen. 3. Die Gründung eines Bundesministeriums für Forschung, In novation und Transformation. Dadurch sollen gleicherma ßen die Grundlagenforschung als auch die Innovationskraft gestärkt und die Lücke zwischen Forschung und Anwendung überwunden werden. 4. Internationale Talentgewinnung fördern, durch vereinfachte Visavergabe für Fachkräfte und eine Willkommenskultur. Zu dem sollen weltweite Hochschul- und Forschungskoopera tionen gestärkt werden. 5. Universitäre Innovationszentren sollten gefördert werden. 6. Tierversuchsgesetz für Forschung und Industrie einführen, um die Überregulierung abzubauen. 7. Forschungsdatengesetz verabschieden. Die Zugänglichkeit und Wiederverwendbarkeit von Daten – einschließlich Daten aus medizinischen Registern – muss verbessert werden. Gera de in der Medizin müssen viele Daten in standardisierter und anonymisierter Form für die Forschung verfügbar werden. 8. Die Translation der Grundlagenforschung sollte mit Förder programmen gezielt verbessert werden. 9. Interoperabilität und intersektorale Datennutzung ermögli chen.

Prof. Dr. André Scherag

für Lungenforschung zugleich Mitglied der DZG-Geschäftsstelle ist. Um das Tal des Todes zu überwinden, sollte die Universitätsmedizin dazu in die Lage versetzt werden, Innovationen federführend um zusetzen oder auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Denn durch rein kommerzielle Forschung geraten Themen wie beispielsweise selte ne Erkrankungen in den Hintergrund, weil aus Sicht der Industrie die Zielgruppen für ein neues Medikament zu klein für einen wirtschaft lichen Erfolg sind. Auch patientenzentrierte Fragestellungen finden weniger Berücksichtigung. Um diese Lücke zu schließen, sind mehr nicht-kommerzielle klinische Studien erforderlich. André Scherag sieht daher die Notwendigkeit, Möglichkeiten zu schaffen, um erfolgreiche klinische Studien besser in die klinische Praxis implementieren zu können: „Eine Idee könnte hier sein, die Programme des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu klinischen Studi en mit dem Programm des Bundesministeriums für Gesundheit im Innovationsfonds Versorgungsforschung zu verbinden. Von daher wäre ein Wunsch an eine neue Regierung, dass es wesentlich stärker verschränkte Förderprogramme der einzelnen Ministerien gäbe, die darauf abzielen, nachhaltige Verbesserungen für die Gesundheits versorgung zu erzielen.“ Medizinische Forschung in der Freizeit? Neben besseren Rahmenbedingungen für die Forschungsinfra struktur, ist ein weiterer Punkt wichtig: Die translationale Medizin wird auch durch Ärzt:innen getragen, die eine klinische und wis senschaftliche Tätigkeit strukturiert miteinander verknüpfen kön nen – den Clinician Scientists. Dadurch sind sie in der Lage, neues

Scherag befürwortet deshalb die Entwicklung abgestimmter Programme, die Translationsschritte von der Grundlagenforschung in die ersten Anwendungen erleichtern. Dazu zählen für ihn neben der Unterstützung im regulatorischen Bereich auch praktische infra strukturelle Hilfen – Translationszentren, in denen solch ein vielfäl tiges Unterstützungsangebot gebündelt und qualifiziertes Personal bereitgestellt wird, hält er für denkbar. Als Vorlage könnten Koordi nationszentren für klinische Studien dienen. Das sind Forschungs partner am universitären Standort, sie unterstützen und gestalten gemeinsam mit den Kooperationspartnern die Forschungsprojekte. Zugleich bieten sie Beratung bei Aspekten wie Finanzierung, Förde rung, Umsetzung oder Publikation der Forschung. Viele Innovationen landen im „Death Valley of Translation“ Wird so etwas auf den Translationsprozess übertragen, könnte das die Erfolgsbilanz von universitären Innovationen steigern. Denn bisher führen die enormen Kosten der klinischen Studienphase III dazu, dass sich die Universitätsmedizin hauptsächlich auf eine grundlagen- und krankheitsorientierte Forschung konzentriert. Die Finanzierung kann schlicht nicht von den Akteur:innen der akademi schen Forschung getragen werden. Die Industrie, also zum Beispiel forschende Pharmaunternehmen, verfügt über solche Ressourcen und überführt wissenschaftliche Erkenntnisse in neue Ansätze für Diagnostik und Therapie. Vorausgesetzt, es besteht dafür ein aus reichend hoher Anreiz, in die Weiterentwicklung zu investieren. Weil zum Beispiel die Erfolgschancen einer Idee hoch sind und damit auch der mögliche finanzielle Gewinn für das Unternehmen. Das

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