HB Magazin 3 2024

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Riesiges Potenzial für Digitalisierung Mit smarter Altersmedizin Lücken in der Versorgung schließen! Wir leben in einer Gesellschaft des langen Lebens. Wie technologische Innovationen dabei helfen können, das Leben älterer Menschen zu erleichtern und deren Gesundheitsversorgung zu verbessern, wird in vielen Forschungsprojekten untersucht. Das Po tenzial der zunehmenden Digitalisierung ist riesig: Versorgungslücken können geschlossen, die Behandlung patientenzentrierter werden. Doch es gibt auch noch Hürden zu überwinden.

Gerade in der Geriatrie kann KI – also Machine Learning und Neuronale Netze – dabei helfen, aus bestimmten Mustern diagnostischer Informationen atypische Krankheitsbilder zu erkennen.

Allgemeinmedizin kann KI – also Machine Learning und Neurona le Netze – dabei helfen, aus be stimmten Mustern diagnostischer Informationen atypische Krank heitsbilder zu erkennen“, erklärt Michael Denkinger. Digitale An wendungen sind also geeignet, nicht-geriatrischen Ärzt:innen bei der Behandlung komplexer geriatrischer Patient:innen zu un

Versorgung die Gesundheit von älteren Menschen zu Hause zu stärken und dadurch die Zahl der Krankenhauseinweisungen zu reduzieren. Herzstück des Projekts ist ein digitales Gesundheitstage buch, in das die wesentlichen Gesundheitsdaten wie Medika tionspläne, Allergien, aktuelle Diagnosen, Notfallkontaktdaten

terstützen. „Dadurch kann die strukturierte geriatrische Medizin anhand eines mehrdimensionalen Assessments im Sinne einer Ba sisversorgung auch ohne geriatrische Expertise möglich sein und erst bei schwierigen diagnostischen oder therapeutischen Themen müssen die Spezialisten dazu geholt werden“, beschreibt Denkin ger das Ziel des SURGE-Ahead-Projekts. „Anderseits dient KI auch den Spezialisten selbst, da die oft sehr ausgeprägte Multimorbidität unterschiedliche Symptome hervorbringt, die oft nicht mehr klaren Krankheitsbildern und selbst geriatrischen Syndromen zuzuordnen sind.“ Digitale Technologien können aber auch schon einen Schritt vor her ansetzen und dabei helfen, dass gesundheitliche Verschlech terungen frühzeitig erkannt und entsprechend behandelt werden können – und ältere Menschen gar nicht erst ins Krankenhaus ein gewiesen werden müssen. „Stay@Home – Treat@Home“ heißt das Innovationsfonds-Projekt, das an der Charité – Universitätsmedizin in Berlin mit verschiedenen Kooperationspartner:innen unter an derem Hausärzt:innen, der Johanniter-Unfall-Hilfe, dem Malteser Hilfsdienst und der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin entwickelt wurde. Mit der Absicht, durch eine interdisziplinäre telebasierte

oder Patient:innenverfügungen datenschutzkonform eingetragen werden. Zusätzlich können die älteren Menschen selbst oder ihre An gehörigen jederzeit eigene Gesundheitsdaten hinzufügen. Bahnt sich eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustandes an, kann das mit Hilfe des digitalen Gesundheitstagesbuchs frühzeitig erkannt und schnell kommuniziert werden. Denn alle Akteur:innen des Ver sorgungs-Netzwerks haben Zugriff auf die gespeicherten Daten. Tritt ein gesundheitliches Problem außerhalb der Sprechstun den der Hausarztpraxis auf, können die Projekt-Teilnehmer:Innen sich bei der KV-Terminservicestelle melden. Dort wird zunächst ent schieden, welche Interventionsebene eingeschaltet wird: Reicht eine telefonische ärztliche Beratung oder ist es ein Fall für einen Hausbesuch des ärztlichen Bereitschaftsdienstes beziehungsweise der Pflege? Die Netzwerkpartner können bei der Behandlung der Patient:innen vor Ort zur weiteren Abklärung stets auf eine teleme dizinische Anbindung zur Notaufnahme der Charité zurückgreifen. Durch digitale Technologien und Telemedizin ist eine kontinuier liche Überwachung und Betreuung möglich, rund um die Uhr. Für diesen Ansatz wurde das Projekt mit dem „Ideas for Impact“-Preis der Robert Bosch Stiftung ausgezeichnet.

Gibt es bald digitale Geriater:innen? Kollege KI? Ganz so weit würde Prof. Dr. Michael Denkinger sicher nicht ge hen. Denkinger, Ärztlicher Direk tor der Agaplesion Bethesda Kli nik Ulm und Leiter des Instituts für Geriatrische Forschung an der Uniklinik Ulm, leitet das

Denn Menschen im hohen Alter haben häufig mehrere Erkrankun gen, nehmen verschiedene Medikamente, verfügen über individu ell höchst unterschiedliche Ressourcen. Aus bestimmten Mustern Krankheitsbilder erkennen In etwa acht bis zehn Minuten werden von den jeweiligen Patient:innen zusätzliche Daten erhoben, beispielsweise, ob eine Mangelernährung vorliegt oder wie mobil die Betroffenen sind. Die KI führt diese Daten mit den bereits vorhandenen Daten aus dem Krankenhausinformationssystem zusammen und schlägt dann eine passgenaue Versorgung vor beziehungsweise weist auf kritische Faktoren hin: Welche Medikation ist sinnvoll, wer ist ge fährdet, nach der Vollnarkose ein Delir zu erleiden, oder wie sollte die Versorgung nach der Krankenhausentlassung fortgeführt wer den? „Gerade in der Geriatrie und in anderen komplexen, oft wenig normierbaren Fächern wie der allgemeinen Inneren Medizin oder

Forschungsprojekt SURGE Ahead (Supporting SURgery with GEriatric Co-manage ment and AI). Künstliche Intel ligenz soll keine Geriater:innen ersetzen, vielmehr möchte der President-elect der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) Leerstellen in der Versorgung älterer Patient:innen im Kran kenhaus schließen. Denn ob wohl die Forschung gezeigt hat, dass ältere Menschen von einem geriatrischen Co Management profitieren, ist es in Krankenhäusern längst

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„Anderseits dient KI auch den Spezialisten selbst, da die oft sehr ausgeprägte Multimorbidität unterschiedliche Symptome hervorbringt, die oft nicht mehr klaren Krankheitsbildern und selbst geriatrischen Syndromen zuzuordnen sind.“

noch nicht Standard – ein spezialisiertes Beratungsteam aus Altersmediziner:innen, Pflegefachpersonen, Therapeut:innen und Mitarbeitenden aus dem Sozialdienst wird in der Chirurgie oder an deren nicht-geriatrischen Kliniken selten eingesetzt. Dabei trägt geriatrisches Co-Management durch die Berück sichtigung von medizinischen, sozialen und psychischen Bedürf nissen älterer Patient:innen zu einer Verringerung der Sterblich keit bei, macht es wahrscheinlicher, dass sie sich gut erholen und nach dem Krankenhausaufenthalt wieder selbst für sich sorgen können. Das Problem: Auch wenn in Zukunft mehr geriatrische Ex pertise in anderen Fachdisziplinen hinzugezogen werden soll, wie es beispielsweise durch den Gemeinsamen Bundesausschuss bei der flächendeckenden geriatrischen Versorgung von Hüft-Fraktur Patient:innen vorgegeben wurde – es fehlt an Fachkräften. Hier setzt das Projekt SURGE-Ahead an, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und an der Uniklinik Ulm gemeinsam mit der Unfallchirurgie, Urologie und Allgemeinchirur gie konzipiert wird. Mit Hilfe digitaler Technologien sollen zum Bei spiel unfallchirurgische Abteilungen auch ohne Geriater:innen und ihre Teams die individuellen Risiken älterer Patient:innen abschät zen und damit die Therapie und Nachsorge besser planen können.

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