HB Magazin 3 2024
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das allerdings immer schwieriger“, bemerkt van den Heuvel. Es sei zu befürchten, dass Kapazitäten dadurch künftig nicht im aus reichenden Maße ausgebaut werden, um den steigenden Bedarf durch den demo grafischen Wandel gerecht zu werden. Oder dass sogar Einrichtungen weitere Plätze reduzieren, beziehungsweise ganz schließen werden. Auch der GKV-Spitzenverband erkennt, dass es zunehmend herausfordernder sei, gerade für ältere Menschen mit höherem Pflegegrad geeignete Rehabilitationsein richtungen zu finden, die die Versicherten zeitnah aufnehmen könnten. Auf die ange spannte Finanzierungslage wird allerdings kein Bezug genommen. Aus der Presse stelle heißt es: „Dies wird auch auf einen allgemein berichteten Fachkräftemangel in den Kliniken zurückzuführen sein, was verdeutlich, dass die Rehabilitationsträ ger und die Einrichtungen nur gemeinsam Lösungen finden können.“ Auf die Frage,
lem bei Erkrankungen des kardiovaskulären, orthopädischen und onkologischen Gebie tes. Von den Autor:innen wurde ebenso angemerkt, dass die Behandlung älterer Menschen überwiegend in Krankenhäu sern der Regelversorgung und nicht in Geriatrien beziehungsweise geriatri schen Fachabteilungen erfolgt und so mit häufig in Einrichtungen, die nicht in jedem Fall geeignet seien, angemessene Angebote für ältere Menschen vorzuhalten. Außerdem führe eine fehlende Orientierung an den Bedarfen älterer Menschen häufig zu Wiedereinweisungen, dem sogenann ten „Drehtüreffekt“. Die Beschreibungen sind mehr oder weniger auch heute noch zutreffend. Der Blick auf die immer größer werden de Patient:innengruppe der Älteren müss te geschärft werden, die Geriatrie mit ihrer Fachexpertise mehr ins Zentrum rücken. „Im deutschen Gesundheitssystem ist das alles noch nicht abgebildet“, sagt van den
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„Wir müssen die teilstationäre Versorgung mehr in den Blick nehmen – auch, weil das Personal für die vollstationäre Versorgung knapp sein wird. Aber man muss ehrlich sagen: Es gibt in dieser Hinsicht keine Impulse oder man sieht nicht, dass gesundheitspolitisch an Lösungsansätzen gearbeitet wird, um sich auf einen starken Anstieg der Fallzahlen einzustellen“, sagt Dirk van den Heuvel.
wie in Zukunft der geriatriespezifische Rehabilitationsbedarf voll umfänglich und sachgerecht abgedeckt werden soll, lautet die Antwort: „Es hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, ob und in wieweit in einer demografisch bedingt alternden Gesellschaft der geriatriespezifische Rehabilitationsbedarf steigt.“ Neben den Ange boten der gesundheitlichen Versorgung, die im Bereich der Geriat rie zum Teil unterschiedliche Versorgungskonzepte in den Ländern aufweise, beeinflussten vielfältige Rahmenbedingungen, ob ein gesundes Altern gelinge. Dazu zählen unter anderem Aspekte der Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Gestaltung eines unterstützenden sozialen Umfelds in einer angemessenen Lebens- und Wohnsituation. Weder Bedarfsabschätzungen noch Lösungs ansätze sollten daher eindimensional gedacht werden, betont der GKV-Spitzenverband. Verstärkte Aufmerksamkeit für das Thema Alter? Fehlanzeige! Aber auch, was die Prävention und Gesundheitsförderung be trifft, gibt es Leerstellen im Gesundheitssystem. Es wird seit Jahren zwar stets hervorgehoben, dass beides eine wichtige Rolle spielt, um die Selbstständigkeit und Gesundheit im Alter lange wahren zu können. Dennoch heißt es im Weißbuch Geriatrie, dass es für hochaltrige Patient:innen nahezu keine spezifischen Präventions angebote gibt. Das Fazit lautet: Es braucht neue Angebote. Das wiederum lässt der GKV-Spitzenverband nicht gelten und verweist unter anderem auf „vielfältige Aktivitäten und Angebote für diese Zielgruppen. Die gesetzlichen Krankenkassen engagieren sich seit vielen Jahren mit ihren gesundheitsfördernden Angeboten unter anderem in Kommunen nach § 20a SGB V oder mit Kursangeboten zur Sturzprophylaxe nach § 20 SGB V, die bundesweit angeboten werden“. Dass gesundheitspolitisch das Thema Alter(n) vermehrt disku tiert wird, ist aktuell nicht wahrnehmbar. Das Bundesministerium für Gesundheit veröffentlichte 2012 das nationale Gesundheitsziel „Gesund älter werden“. Schon damals wurde die medizinische Rehabilitation als wichtiges Instrument der gesundheitlichen Ver sorgung älterer Menschen zur positiven Beeinflussung von Krank heitsfolgen im Leben und in der Gesellschaft identifiziert – vor al
Heuvel. Zwar waren in den vergangenen Jahren insgesamt Ver besserungen zu erkennen. Dem Versorgungsanspruch werde die Akut- und Rehabilitationsmedizin aber nicht vollständig gerecht. Ein zentraler Punkt: Ein wesentlicher Anteil aller Patient:innen mit geriatrischem Behandlungsbedarf werde in anderen Fachabteilun gen im Krankenhaus noch nicht regelhaft als solcher erkannt und folglich auch nicht entsprechend versorgt. Laut aktuellem Weißbuch Geriatrie des Bundesverbands Geria trie aus dem Jahr 2023 finden beispielsweise unzureichend Scree nings statt, um das medizinische, pflegerische und soziale Risiko potenzial älterer Menschen richtig einzuschätzen und dahingehend die Therapie zu planen. Das wiederum kann den Therapieerfolg gefährden. Als weiteres Beispiel wird genannt, dass bei der Be handlung betagter und hochbetagter Patient:innen nicht auf deren Multimorbidität eingegangen wird und dadurch akutmedizinisch notwendige Interventionen zu spät durchgeführt werden können. Das alles hat nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der indi viduellen Patient:innen, sondern führt auch zu höheren Kosten für das Gesundheitswesen – weil unter anderem nicht immer das best mögliche medizinische Outcome auf diese Weise erzielt werden kann oder geriatrische Rehabilitation nicht frühzeitig angeordnet wird. Dadurch nimmt die Pflegebedürftigkeit der Patient:innen zu. Es ist wissenschaftlich gut dokumentiert, dass für ältere Menschen ein Krankenhausaufenthalt oftmals mit einer gesundheitlichen Ver schlechterung einhergeht. Um strukturell besser auf die demografische Entwicklung ein gestellt zu sein, hat der Bundesverband Geriatrie für die Jahre ab 2025 eine bundesweite Orientierungs- und Planungsgröße berech net: 38 geriatriespezifische Betten in Kliniken für Geriatrie bezie hungsweise 12 Betten in geriatrischen Rehabilitationskliniken je 10 000 Einwohner:innen über 70 Jahre gelten demnach als versor gungsadäquat. Als das Weißbuch Geriatrie verfasst wurde, lag die Ist-Kapazität der Geriatrie-Betten in Krankenhäusern mit 17 Bet ten je 10 000 Einwohner:innen allerdings deutlich unter dem vom Bundesverband Geriatrie definierten Soll-Wert. Gleiches gilt für die Bettenverfügbarkeit von Rehabilitationseinrichtungen. Deutsch landweit wurden zum Erhebungszeitpunkt durchschnittlich rund
Gerade mit Blick auf diese demografischen Prognosen wächst die Bedeutung der Geriatrie. Das Ziel der Altersmedizin ist es, die Patient:innen ganzheitlich zu betrachten und das Eintreten von Pflegebedürftigkeit bei Älteren so lange wie möglich hinauszuzö gern, beziehungsweise einer Verschlechterung entgegenzuwirken. In einer alternden Gesellschaft ist das hinsichtlich der künftig weiter stark steigenden Ausgaben in der Pflege von besonderer Relevanz. Eine Maßnahme, um gezielt einer überproportionalen Zunahme der Pflegebedürftigkeit entgegenzusteuern, wird unter anderem in dem Grundsatz „Reha vor und bei Pflege“ gesehen. Aber genau da hakt es. „Schon heute bestehen Versorgungsdefizite in der geriat rischen Rehabilitation“, sagt van den Heuvel. Den Rechtsanspruch der Patient:innen darauf zeitnah umzusetzen, sei zum Teil bereits
schwierig. „Und die Bettenkapazitäten sind rückläufig. Das ist Irr sinn, wenn man weiß, dass der Bedarf jährlich steigen wird.“ Einer der wichtigsten Gründe dafür ist nach Angaben des Bun desverbands Geriatrie, dass vielfach eine Unterfinanzierung be steht. Im Gegensatz zu der einheitlichen Vergütung von Leistungen in den Akutkliniken werden die Tagessätze der Rehabilitationskli niken weiterhin individuell zwischen den Krankenkassen und Ein richtungen vereinbart. Bei der Kalkulation der Tagessätze würden allerdings aktuell nicht die tatsächlichen Kosten berücksichtigt. Damit trägt sich die geriatrische Rehabilitation wirtschaftlich nicht. In der Vergangenheit wurde sie in der Regel von anderen Bereichen von den Trägern quersubventioniert. „In Zeiten, in denen unter an derem auch im Krankenhausbereich die Insolvenzwelle rollt, wird
Stichwort Geriatrie Als Lehre von Krankheiten des alternden Menschen wird die Geriatrie definiert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Behandlung von aku ten und chronischen Krankheiten, der Rehabilitation, der Präventionen betagter und hochbetagter Menschen, der speziellen Situation am Lebensende. Dabei gibt es keine feste Definition dafür, wann ein Mensch eigentlich „alt“ ist. Denn allein das biologische Alter ist dafür nicht ausschlaggebend und fällt hochindividuell aus. Geriatrische Patient:innen haben meist mehrere Erkrankungen und geriatrische Syndro me, die das Risiko für Einschränkungen oder gar den Verlust der Selbstständigkeit und sozialen Teilhabe bergen. Die Behandlung älterer Menschen erfolgt deshalb auch in interdisziplinären Teams, um deren spezifischen Bedarfe angemessen adressieren zu können. Als untere Grenze geriatrischer Patient:innen wird häufig ein Alter von 65 Jahren genannt, die meisten sind zwischen 75 und 90 Jahre alt. Die Geriatrie ist noch eine junge Disziplin. Historisch bedingt unterscheidet sich das Versorgungsangebot in den einzelnen Bundes ländern in ihrer Struktur, Ausgestaltung und der regionalen Verteilung und Schwerpunktsetzung. Neben der stationären Versorgung sind bundesweit auch geriatriespezifische teilstationäre Versorgungsangebote wie Tageskliniken, ambulante geriatrische Rehabilita tion, mobile geriatrische Rehabilitation und Geriatrische Institutsambulanzen entstanden. Weiterhin gibt es auch wenige geriatrische Schwerpunktpraxen. Eine wichtige Rolle in der Versorgung älterer Menschen nehmen Hausärzt:innen ein, die häufig jahrelang erste Ansprechpartner:innen bei medizinischen Problemen sind.
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